• Künstliche Intelligenz & das Absurde Teil 1

Künstliche Intelligenz & das Absurde Teil 1

Die Sommerzeit mit ihren Ferien ist vorbei. Ich greife meine Essayarbeit wieder auf. Der erste Schritt ist etwas kürzer als gewohnt, bietet aber viel Stoff und eine Vorschau zum Nachdenken. Sie können sich auf einen anschließenden ausführlichen Text in den nächsten ART Letters freuen.

Das Thema:

Ich möchte mich und meine Kunst in Beziehung setzen zur aktuell so viel diskutierten KI (künstliche Intelligenz) und dem anscheinend daraus möglichen ganz neuen Kunstschaffen. Ebenfalls dem ChatGPT, was die allermeisten Leute gleichsetzen mit KI und dabei nicht wissen, wo noch überall KI drin steckt.

Erst kürzlich veröffentlichte der Wissenschaftler, Sebastian Knapp, von der Universität Konstanz, sein spektakuläres Buch „Mathematische Grenzen Neuronaler Netze“  und erhielt dafür umgehend einen hochangesehen wissenschaftlichen Förderpreis. Darin stellt er u.a. die These auf: „Mathematisch gesehen ist ein neuronales Netz nichts anderes als eine Funktion, die einen Vektor oder auch eine Zahl wieder auf einen Vektor oder eine Zahl abbildet und dabei von sehr vielen Parametern abhängt.“ (Vektor grob skizziert: Vektoren sind durch ihre Länge und durch ihre Richtung definiert, geben also an, um welchen Abstand und in welcher Richtung ein Punkt verschoben wird.)

Mit diesem Hinweis möchte ich ein Zeichen setzen, dass Mathematik oder weiter gefasst, allein rationales Denken hier zu Anwendung kommt.

Nun wissen wir jedoch aus der Kunst, dass vorrangig sie es ist, welche ihrer Wesensart nach gar nicht dem Rationalen zugetan ist, sondern dessem Gegenteil, dem Irrationalen. Die Kunstwerke der vergangenen Epochen sind in ihrer kulturprägenden überzeugenden und eindrucksvollen Ausdrucksweise stets Zeugnisse aus irrationaler Schaffenskraft der Menschen. So erweist sich Irrationalität nicht als eine Schwundstufe des Rationalen, sondern vielmehr als eine ganz andere Form des Rationalen, und dadurch auf völlig andere Wirklichkeiten verweisend als jene, die der Ratio der Menschen entspringen.

Darauf fußend und davon angeregt soll die Frage bearbeitet werden:

Wie kommt das Absurde in die Welt?

Also fragen wir nach dem in Disharmonie mit dem vernünftigen und angemessen Stehenden. Umgangssprachlich würde man sagen: wir ergreifen das „Ungereimte“.

Um an ein Beispiel aus einem vorigen Essay zu erinnern, verweise ich auf die Stelle, an der ich von der ersten Begegnung des Malers Wassily Kandinsky mit dem Komponisten Arnold Schönberg spreche. Kandinsky erklärt dem zukünftigen Freund begeistert die Verwandtschaft der Dissonanzen in der Kunst und das die „Dissonanz“ (also das sich Widersprechende) die Konsonanz von Morgen sei und deren „antigeometrische, antilogische Harmonie und Konstruktion.“ Dadurch solle eine neue Freiheit in die künstlerische Gestaltung einziehen. Alles klingt wie ein lebensvoller Ausdruck eines Bewusstseinswandels, der sich in Zukunft vollziehen soll, vollziehen müsse und  aus heutiger Perspektive tatsächlich auch vollzog, wie es in einem vorigen Essay zu lesen ist. Nur mit unserem gewöhnlichen Bewusstsein bemerkten und bemerken wir es nicht (z. B. abstrakte Kunstwerke, das Theater des Absurden als Wende des Tragischen).

Die absurde Handlung zerbricht das übliche Erleben, um die äußere Welt durchsichtig zu machen.

Der Kirchenvater Tertullian schrieb:

„Gekreuzigt wurde der Gottessohn; das ist keine Schande, weil es eine ist.

Und gestorben ist der Gottessohn; das ist glaubwürdig, weil es ungereimt ist.
Und begraben ist er auferstanden; das ist ganz sicher, weil es unmöglich ist.“

Aus Egon Friedell, C.H. Beck, München, „Kulturgeschichte der Neuzeit“

(Quintus Septimius Florens Tertullianus oder kurz Tertullian (* nach 150 in Karthago (heute in Tunesien); † nach 220) war ein früher, antiker christlicher Schriftsteller und der erste lateinische Kirchenschriftsteller.)

 Unser inneres Leben folgt bekanntlich nicht bloß logischen Gesetzen. Unsere Erfahrungen speisen sich wesentlich häufiger, als wir annehmen, aus alogischen Gründen oder Anlässen.

Einer der Mitbegründer des sogenannten „Absurden Theaters“ Eugene Ionesco, welchen ich schon einige Male in meinen Essays zitierte, bricht für uns den Bereich einer neuen Wirklichkeit auf, zu bisher nicht bekannten Gewissheiten, Sicherheiten und Abstand von der eher bedrückenden Wirklichkeit der materie – und körpergebundenen Existenz der Menschen.

Der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, konstatiert 1958:

„Der Wille zur Macht als böse Hinterseite der Naturwissenschaften! Wir erforschen die Natur, um Erfüllung zu finden im Denken und Fühlen.

Und wenn dabei die Rationalität Schiffbruch erleidet (Atombombe, Klimazerstörung…) hilft nicht der Rückgriff auf die Vernunft (= Rationalität), sondern die Besinnung auf komplementäre Gegensatzpaare.

Diese sind für mich:

Bewusstsein-Unbewusstes

Denken-Fühlen

Vernunft-Instinkt

Logos-Eros.

Die sprachliche Fixierung zu Gunsten der einen Hälfte eines solchen Gegensatzpaares ist nur das sichere Symptom, dass die menschliche Ganzheit psychologisch nicht erreicht oder sogar blockiert ist.“

(Wolfgang Pauli, Ein Kurzportrait, Bd. 1, Herausgegeben von A. Hermann; K. v. Meyen, Springer, Heidelberg)

Die Suche nach dem Absurden wird uns bis in die frühesten Anfänge der europäischen Kultur zurück führen. Ein weiter Weg, zu dem Ihnen meine Vorschau Anreize geben sollte, welche die überragende entscheidende Bedeutung des „Ungereimten“, Absurden als tragfähiges kulturelles Gerüst zeigt. Meine Ankündigung an dieser Stelle möchte ich mit einer Frage und einem Statement beenden:

Die Frage: Würden Sie es für vernünftig halten, einen Stadtstaat in eine verseuchte und von Krankheiten geplagten Sumpflandschaft auf Baumpfählen zu bauen, wie es in Venedig geschah?

Und von Ionesco:

„Man muss im Leben aus dem Fenster schauen, denn in Wirklichkeit ist alles anders!“

(Aus „Die kahle Sängerin“)

Zum Schluss möchte ich es für möglich halten, dass wir ein Gebiet betreten, mit dem man KI niemals in Beziehung setzen kann, weil es von Irrationalität geprägt ist.

 

„You need power only when you want to do something harmful,
otherwise love is enough to get everything done.”
Charlie Chaplin